Des einen Familienleid ist des anderen Familienfreud

 Ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt nichts, was mir mehr am, auf gut Deutsch gesagt, Arsch vorbei geht als irgendwelche Royal Families. In Europa wurde die Monarchie abgeschafft, das Konzept der Vererbung von politischer Macht genießt kein Ansehen mehr und das vollkommen zu recht. Könige und Königinnen brauchen wir noch für...was nochmal? Achja zum Lächeln und Winken. Oder wie ich es ausdrücken würde: Für nichts. Lächeln und Winken, das kann nämlich eigentlich jede:r und je mehr Menschen die Kompetenzen besitzen, die für die Ausübung eines bestimmten Berufes abverlangt werden, desto härter der Kampf auf dem Arbeitsmarkt. Eigentlich. Es sei denn, du wirst rein zufällig in eine königliche Familie hineingeboren. Dann ist es scheiß egal wie viel besser die Smiths im Lächeln und Winken sind, dein Thron ist trotzdem unantastbar. Aber nun gut ohne die Royals wäre die gesamte Bunte-Redaktion wahrscheinlich arbeitslos, denn wo will man als Adelsexpert:in nun sein ganzes mühsam angelerntes Fachwissen zum Besten geben? Dann bleibt ja als einziger Inhalt nur noch die neueste Kohlsuppendiät und jetzt mal ehrlich, dann lese ich doch lieber die Wendy im Wartezimmer meiner Gynäkologin, wenn ich nicht mal mehr erfahren kann, ob das Kleid, das Kate beim letzten Besuch in West-Indien getragen hat, von Versace oder von Topshop war. Die kauft nämlich wirklich auch mal bei Topshop, die Kate, ist das nicht bodenständig?

Nun gut, aber bei all dem unnötigen Traraa um die Queen und ihr Gefolge habe ich mir immer gedacht: Leben und leben lassen. Die sind halt ein bisschen bescheuert mit ihren Roylas, die Brit:innen, aber schaden tun sie damit ja auch keinem. Let it be. 

Bis vor Kurzem das Interview von Harry und Meghan mit Oprah herauskam und ich in meinem ganzen Leben noch nie so vom Glauben abgefallen bin.


Es ist ja schon albern, wenn die Brit:innen auf ihre Royals abgehen, als wären das irgendwelche krassen Dudes, die in ihrem Leben unfassbares geleistet haben. Aber wenn auch noch Deutsche der Meinung sind, ihren Senf dazugeben zu müssen, dann ist das ganze an Peinlichkeit gar nicht mehr zu überbieten, vor allem wenn die Medien auch noch mitziehen. Meghan Markle wurde zur Lügnerin, zur Familienzerstörerin und zur undankbaren Hexe, die den armen Harry vom rechten Weg abgebracht hat. Denn ein erwachsener Mann von sechsunddreißig Jahren ist natürlich nicht in der Lage, sich gegen seine hinterhältige Frau durchzusetzen und eigene Entscheidungen zu treffen. Und bei einer Ehe heiratet ja natürlich auch lediglich die Frau in die Familie des Mannes ein, weshalb es ja auch vollkommen legitim ist, seinen Beruf, seinen Instagram Account und seine öffentliche Meinung aufzugeben. Immerhin ist sie dafür ja auch quasi Prinzessin geworden und damit ist ja bereits der größte Traum einer jeden Frau in Erfüllung gegangen und da kann man auch ruhig einmal ein bisschen Dankbarkeit zeigen. 

An Kate und Meghan lässt sich sehr gut erkennen, wie sehr das Bild wie eine Frau gefälligst zu sein hat, immer noch in der Vergangenheit festhängt. Alle lieben Kate, weil sie so nett ist und höflich, immer schön lächelt und sich stets mit ihrer Meinung zurückhält. Meghan hingegen wird zum Problem gemacht, weil sie öffentlich Probleme anprangert, Kritik ausübt und sich mit ihrer Meinung nicht in Zurückhaltung üben möchte. 

Böse Zungen sagen: Sie hätte es ja besser wissen müssen, wenn sie in eine Königsfamilie einheiratet. Hätte sie auch. Hat sie vielleicht auch. Aber die Aussage “das ist halt so” war noch nie ein besonders stichhaltiges Argument für irgendwas, denn man braucht ja nur damit anzufangen, aufzuzählen, was schon alles so war und jetzt nicht mehr ist und in neun von zehn Fällen hat es sich zum besseren gewendet. Und um zu bemerken, dass die gesamte royale Sippschaft gedanklich noch in einer anderen, rückschrittlichen Zeit festhängt, braucht man nur einmal kurz die Augen aufmachen, genauer hingucken und sehen, wie der Nachwuchs mit seinen Kniestrümpfen durch den royalen Garten stapft, während die Rocklänge der Mutter immer über das Knie gehen muss und beim königlichen Dinner mit einem Lineal eingedeckt wird, damit die Fischgabel auch ja nicht zwei Millimeter zu nah an der Stoffserviette mit goldenem Emblem liegt.

An Meghan Markle scheint laut Öffentlichkeit so ziemlich alles falsch zu sein, was nur falsch sein kann. Sie ist eine Frau, sie sagt ihre Meinung, Sie hat zudem auch noch einen Schwarzen Backround und sie setzt ihr eigenes Wohl über das ihrer “königlichen Pflichten”, was auch immer das sein soll. Und zu guter Letzt ist sie auch noch die herrische Verführerin, die Harry von seiner Familie wegtreibt, während Kate William immer den Rücken freihält. An Harrys Stelle und an der Stelle aller Männer wäre ich übrigens hochgradig empört darüber, dass mir ständig meine Mündigkeit abgesprochen wird, weil ich auf Grund meiner Triebe dem Willen einer Frau verfalle.


Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“ heißt es zu Beginn von Tolstois "Anna Karenina". Und jede Familie, sei sie nun grundlegend glücklich oder unglücklich, trägt ihren ganz persönlichen, beschissenen Ballast mit sich herum. Ein schweres Paket, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, wenn nicht irgendwer mal den Mumm hat, es zu öffnen, die ganze Scheiße herauszulassen und solange durchzukneten, bis sie schließlich verpufft. 

Es mag vermag wohl niemand zu wissen, was sich hinter den Kulissen zwischen Harry, Meghan und der restlichen “Royal Family” abgespielt hat, aber so viel sei sicher: keine Gene der Welt verpflichten dich, mit deiner Familie klarzukommen. Dieser ganze “Blut ist dicker als Wasser” Kram ist ein einziger Bullshit. Familie kann super sein, wenn die Menschen toll sind, die dieser angehören, ich weiß das nur zu gut. Aber manche Familien oder einzelne Mitglieder können auch einfach scheiße sein und dann ist es jedermanns gutes Recht, sich von ihnen zu distanzieren. Die Unantastbarkeit der Familie ist hiermit ein für allemal beendet.




Very British today!


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