Friede sei mit uns

 Eigentlich wollte ich für heute einen Text über den Tod schreiben. Marcel Reich-Ranicki hat einmal gesagt, die große Literatur würde nur zwei Themen kennen: Die Liebe und den Tod. Und als leidenschaftliche Leserin und Schreiberin kann ich es deshalb natürlich auch nicht die Finger davon lassen. Über die Liebe habe ich noch keinen Text geschrieben und auch nicht über den Tod und irgendwo muss man ja dann anfangen, deshalb dachte ich, nehme ich doch die einfachere der beiden Möglichkeiten. Aber in anbetracht der Tatsachen, der derzeitigen Geschehnisse erachtete ich es für wichtiger, Reich-Ranicki (Gott hab ihn selig) außer Acht zu lassen und mich einem meiner Meinung nach im Moment wichtigeren Thema zu widmen. Vielleicht wird er da oben ja noch lernen, dass die Literatur deutlich breiter aufgestellt ist, als er es damals gedacht hat. Ansonsten wäre mein Studium auch ziemlich langweilig und ich würde es nach neun Semestern nicht immer noch studieren.


Fragt man Google nach der Bedeutung des Wortes “Frieden”, so erhält man zwei verschiedene Antworten. Friede oder Frieden sei “die Abwesenheit von Störung oder Beunruhigung und besonders von Krieg” oder auch ein “heilsamer Zustand der Stille oder Ruhe”. 

Aber, das ist doch dasselbe werden aufmerksame Leser:innen jetzt einwerfen wollen. Aber sind Sie sich da so sicher?

Der deutsch-ukrainische Journalist Vassili Golod hat am 14. Januar diesen Jahres gewittert: “In der Ostukraine herrscht seit 2014 Krieg. Krieg in Europa ist Realität.” Zu diesem Zeitpunkt sprach man in Deutschland noch vom sogenannten “Ukraine-Konflikt”. Aber wir müssen zugeben: Konflikt war ein deutlich zu schönes Wort, um die prekären Zustände in diesem Land zu beschreiben. Ein Euphemismus. Einen Konflikt habe ich mit meinen Geschwistern am Donnerstagabend um das Fernsehprogramm. Alarm für Cobra 11 gegen GNTM. Oder mit meiner Mitbewohnerin, weil sie die Klopapierrolle ständig falsch aufzieht und ich sie dann immer erneut aus der Halterung lösen und umdrehen muss. (Jede:r weiß doch, es gibt nur eine Richtung, in die das Klopapier abgerollt werden darf.) 

Auch in der Partei, die sich selbst gerne als die für die “Mitte der Gesellschaft” bezeichnet ist das inzwischen angekommen. Erst vor ein paar Tagen sagte Friedrich Merz: “Der Satz, wir seien am 24. Februar in einer anderen Welt aufgewacht, ist falsch. Wir sind genau in der Welt aufgewacht, die Putin seit Jahren haben wollte, die wir aber nicht wahrhaben wollten.” Kurz bin ich entrüstet, dass ich ihm ausnahmsweise mal Recht geben muss, dann überlege ich, wessen Partei wohl die letzten sechzehn Jahre regiert hat und das ganze damit eigentlich hätte verhindern können. Sie fängt mit C an, endet mit U und die Mitte können wir uns alle denken. Es ist doch immer wieder erstaunlich, manche Männer scheinen einfach darauf zu pokern, dass alle anderen Menschen noch dümmer sind als sie selber und kommen dann damit ihr Leben lang durch. 

Es ist beschämend ja, aber wir müssen es zugeben: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit haben wir uns seit acht Jahren selbst belogen. Frieden ist eben nicht nur die bloße Abwesenheit von Krieg, sondern doch der heilsame Zustand der Stille und Ruhe. Eine Stille und Ruhe die es in der Ukraine schon lange nicht mehr gegeben hat. 


Einer meiner Unidozenten erzählte uns einmal, dass Studierende in einem seiner Seminare der Meinung gewesen wären, dass in der heutigen Zeit in Europa keine großen politischen Umschwünge mehr stattfinden würden. Er sei schockiert gewesen, sagte er uns. Das haben die Menschen nach dem Ende des Dritten Reiches auch gedacht. Und dann kam der Kalte Krieg und damit die Angst, uns würde ein dritter Weltkrieg bevorstehen. Und dann kamen die Jugoslawienkriege. Mitten in Europa bis in die 2000er hinein. 

Und heute? Heute gucken wir mit vor Angst geweiteten Augen die Nachrichten und sehen: Der Krieg ist da in Europa. Und vielleicht werden wir feststellen, dass Frieden kein Zustand ist, den man irgendwann erreicht und dann ist er da und bleibt für immer. Er ist viel mehr eines unserer größten demokratischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, für den wir uns jeden Tag aufs neue bewusst entscheiden müssen. Und wofür wir, so widersprüchlich es auch klingt, kämpfen müssen.

Den meisten von Ihnen wird es in den vergangenen Wochen ähnlich gegangen sein wie mir. Die großen Fragen. Warum, wozu, was soll das und wo kommen wir am Ende hin? Dieser innerliche Schrei nach Antworten auf diese Fragen. Herr Putin können Sie mir das beantworten? 


Der Schriftsteller Erich Maria Remarque schrieb in seinem 1928 veröffentlichten Anti-Kriegsroman “Im Westen nichts Neues”: Sieh mal, wenn du einen Hund zum Kartoffelfressen abrichtest und du legst ihm dann nachher ein Stück Fleisch hin, so wird er trotzdem danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt. Und wenn du einem Menschen ein Stückchen Macht gibst, dann geht es ihm ebenso; er schnappt danach. 

Eine beängstigende Analogie finden Sie nicht auch? Aber vielleicht Stimmt sie, es kommt mir so vor. Aber wie kann es sein, dass sich der eine mit dem Vorsitz eines Sportvereins zufrieden gibt. Die nächste mit der Leitung eines Unternehmens oder der Führung eines Landes. Und dann ist da einer, dem ist das immer noch nicht genug, der will…ja was eigentlich? Die ganze Welt? Sie wissen es nicht, ich weiß es nicht, aber wir ahnen alle: Was wie ein düsterer Science-Fiction-Film klingt, ist gar nicht so abwegig, wie es sich anhört.


Die Sängerin Lary hat im vergangenen Jahr einen Song mit dem Titel “Krieger” veröffentlicht, der aktueller nicht sein könnte. Nur der Krieg macht Krieger heißt es da in der Hook, aber lieber macht er Verlierer. 

Und wenn das jetzt alles ein bisschen zu viel Berlin-Hipster-Klischee gewesen ist, beende ich diesen Text wie ich schon immer einen Text beenden wollte: Mit einem Zitat von einem der wohl größten Philosophen unseres Zeitalters. Ein großer Krieger? Groß machen Kriege niemanden.

Und damit danke, Meister Yoda, für diese Worte und die Erinnerung daran, dass Frieden ein gottverdammtes Privileg ist, welche uns ja immer erst im angesicht des Verlustes bewusst zu werden scheinen.



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