Mein Dank gilt dem Diskurs

 Der Dezember ist ja in jedem Jahr eigentlich nichts anderes als ein Abschiedsmonat. Ein Countdown von einunddreißig Tagen bis ins neue Jahr oder wie wir es oft etwas pathetischer nennen: Die Möglichkeit für einen Neuanfang.

Doch bevor wir dann am ersten Tag des neuen Jahres, nachdem wir unseren Kater von Silvester um die Mittagszeit rum endlich ausgeschlafen haben, missmutig unsere seit Wochen nicht mehr in Gebrauch gewesenen Laufschuhe aus der Ecke kramen, die versteckte Packung Gummibärchen aus dem Schrank heraus in den Mülleimer befördern, die Pflichtlektüre für das eine Uniseminar endlich anfangen oder das erste Mal seit wir in dieser Wohnung wohnen auch mal AUF den Schränken sauber machen, haben wir in den genannten einunddreißig Tagen davor erst einmal noch die Möglichkeit, dass sich dem Ende neigende Jahr Revue passieren zu lassen, ein Resümee zu ziehen und unsere Dankbarkeit zu zeigen für die wenigen guten Sachen 2021, die trotz Corona oder Stress oder Krankheit oder mentaler Erschöpfung dagewesen sind (das eine hat natürlich das andere unter anderem bedingt und umgekehrt). 


Dabei war das erstmal ein ganz schönes Auf und Ab 2021 in der deutschen Gesellschaft. Und damit meine ich nicht nur Corona-Fallzahlen-mäßig, sondern auch und vor allem emotionenmäßig. Und es ist so viel einmal zusammengekommen. Trauer und Wut und Enttäuschung und Erschöpfung. Resignation und immer wieder auch Kapitulation. Ich musste viel kapitulieren. Und ich habe immer wieder versucht mir abzugewöhnen, Diskussionen auf Instagram zur Coronapolitik durchzulesen. Meistens vergebens. 

Impfskeptiker:innen, Impfgegner:innen, Schwurbler:innen, Querdenker:innen. In kürzester Zeit entstanden so viele neue Begriffe für Menschen, die die bisherigen Maßnahmen in irgendeiner Art und Weise ablehnen. Die Debatte rund um den Fußballspieler Joshua Kimmich erhitzte die Gemüter des ganzen Landes. Zugegeben: Für die Medien war die ganze Diskussion eine Steilvorlage, wie die Aasgeier wurde wirklich in jeder gottverdammten Zeitung und in jedem Onlinemagazin darüber berichtet.

Ein gefundenes Fressen für alle Gegner:innen, die die überdimensionale Berichterstattung als Beweis dafür nahmen, dass unsere so geschätzte Meinungsfreiheit in Gefahr sei. Denn wenn man noch nicht einmal mehr sagen dürfe, man wolle noch abwarten, dann müsse hier doch etwas gewaltig schief laufen.

Aus der Perspektive von Impfgegner:innen spaltete sich das Land in zwei Lager: Diejenigen, die zu allen Maßnahmen Ja und Amen sagen, ohne sie auch in irgendeiner Weise in Frage zu stellen und diejenigen, die den Mut haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen (sorry Kant) und sich nicht so einfach von “denen da oben” vordiktieren lassen, wie sie zu leben haben.

Dabei lässt sich hier ganz leicht ein Fehler in der Matrix erkennen: Die Annahme, ein eigenständiges Denken und Reflektieren sei nur möglich, wenn das Ergebnis daraus ist, eine kritische oder sogar ablehnende Haltung weiterhin beizubehalten. Ich kann mich aber genau so gut fragen: Sind diese Maßnahmen (Maske tragen, Abstand halten, Kontakte reduzieren, Impfen) nötig, wichtig, angemessen? Und dann kann ich mich informieren, ich kann Wissenschaftler:innen zuhören und Artikel lesen und dann entscheiden: Ja, das sind sie. Zack, da haben wir unser kritisches Hinterfragen. Gleicher Prozess, anderes Ergebnis.


Die Kritik an Joshua Kimmich kam dem einen oder anderen vielleicht unverhältnismäßig vor, aber sie war eines auf keinen Fall: Ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Ich darf natürlich sagen, dass ich mich nicht impfen lasse, aber das bedeutet nicht, ein Anrecht darauf zu haben, dass diese Meinung ohne Kritik einfach so hingenommen wird. Gerade auch, wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse etwas anderes sagen. Vielmehr hat sich gezeigt, dass etwas in unserem Land immer noch hervorragend funktioniert: Nämlich unsere Debattenkultur. 


Und damit gilt mein Dank in diesem Jahr (oder jetzt schon im letzten Jahr) dem Diskurs und der Tatsache, dass dies im kommenden (bzw. jetzigen Jahr) mit Sicherheit so weitergehen wird.


Achja und ich hätte wirklich nichts dagegen, wenn sich das ein paar Leuts da draußen noch mal überlegen würden mit dem Impfen. Hab jetzt nämlich, gelinde gesagt, wirklich die Schnauze voll von diesem Virus. Danke, Tschüssi.





Kommentare