Der Text, den ich nie schreiben wollte

Manchmal, da sind die Themenspektren einfach zu komplex, um sich eine stringente Meinung bilden zu können und da wünsche ich mir immer, dass sich das mehr Menschen zu Herzen nehmen würden. seit Beginn der Pandemie haben wir es in unserer Gesellschaft mit so vielen Hobby-Virolog*innen zu tun und das alles ganz ohne Studium. Auf einmal scheint jede*r zu wissen, nicht was der richtige Weg ist, aber zumindest doch immer was auf jeden Fall was der falsche wäre. Zugegeben, zwischendurch war es immer mal wieder verdammt undurchsichtig. Masken bringen was oder auch nicht. Sie bringen was, aber wenn dann nur FFP2. Die Zahlen sinken, nein sie sinken nicht. Jüngere sind nicht so gefährdet oder vielleicht doch. Das hat aber nichts damit zu tun , dass die wirklichen Expert*innen keine Ahnung haben. Eine weltweite Pandemie ist aber so komplex und auch neu, dass es einfach schwierig ist, alle neuen Erkenntnisse immer up to date zusammenzubringen. Das ist dann echt ätzend und nervig und man verliert als Otto Normalverbraucher*in schnell den Überblick und ist überfordert, aber deshalb müssen nicht gleich die Meinungen von renommierten Wissenschaftler*innen auf einmal nichts mehr wert sein. Es ist vollkommen in Ordnung diese Überforderung zu spüren, aber das heißt nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um mit gefährlichem Halbwissen und vermeintlichen Wahrheiten selber zu versuchen, komplexe Themen erklären zu wollen. Eine eigene Meinung zu haben ist in einer Demokratie so wichtig, aber das bedeutet nicht, dass ich mich zu allem und jedem positionieren können muss. Das zeigt uns auch der gerade wieder sehr präsente Konflikt rund um Israel und Palästina. Solche Themen geben uns das Gefühl, eine Seite wählen zu müssen, aber wie so oft ist auch bei diesem Konflikt die Welt nicht nur schwarz und weiß, sondern grau in den unterschiedlichsten Varianten dieser Farbe. Meinungsfreiheit bedeutet eben auch, dass ich mir eingestehen darf, dass ich mir keine konkrete Meinung bilden kann, weil mein Wissen dafür nicht ausreicht und die Thematik zu weitläufig ist.

Ein ähnliche Überforderung wie bei dem Israel-Palästina-Konflikt verspüre ich seit in Deutschland immer wieder über das Verbot des Kopftuches diskutiert wird und deshalb habe ich mich auch immer geweigert, einen Text darüber zu schreiben, weil es eben nicht mit: “Kopftuch gleich Unterdrückung der Frau und kein Kopftuch gleich keine Unterdrückung der Frau” getan ist. Wir können nicht wissen, ob eine Frau ein Kopftuch freiwillig oder unfreiwillig trägt. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hat sich in einer Talkshow für ein Verbot von Kopftüchern bei Kindern ausgesprochen, da dort klar zu erkennen sei, dass es der Wille der Eltern und nicht der der Kinder sei. Aber auch hier gibt es keine Eindeutigkeit, denn niemand kann sagen, ob das Kind gezwungen wird oder ob es sich nicht vielleicht doch selber dazu entschieden hat, weil zum Beispiel Mama auch immer so hübsche Kopftücher trägt und wenn Mama das macht möchte ich das auch. Denn Kinder bewundern häufig ihre eigenen Eltern und schauen zu ihnen auf und da ist es nicht verwunderlich, wenn sie die gleiche Kleidung tragen wollen. Wir sehen also, dass die Antwort auf eine Frage nicht immer klar ist, selbst dann, wenn es uns auf den ersten Blick so scheint. 

In Frankreich gilt der Laizismus, also die Trennung von Kirche und Staat, welcher unter anderem auch das Tragen von religiösen Symbolen in öffentlichen Einrichtungen wie der Schule verbietet. Von allen religiösen Symbolen. Kreuz, Kopftuch, Kippa. Aber in Deutschland diskutieren wir immer nur über ein Kopftuch-Verbot. Damit setzen wir aktiv den Islam als das “andere” und grenzen Muslim*innen systematisch aus. Aber wenn wir in einem Land leben wollen, in dem sich jede*r gleichberechtigt und Zuhause fühlt, dann können wir nicht nur explizit über ein Kopftuchverbot reden, sondern müssen uns auch fragen, ob in Schulen Kreuze hängen dürfen. Und wenn wir uns diese Frage nicht stellen, dann werden wir vielleicht merken, dass es uns vielleicht doch nicht um die Freiheit von Frauen geht, sondern dass diese nur instrumentalisiert werden, um Vorurteile gegenüber Menschen islamischen Glaubens zu legitimieren. Denn wer mehr Freiheit durch ein Verbot erzwingen möchte, dem muss doch klar sein, dass das ganz schön paradox ist. 

Ein Beitrag auch Twitter hat es ganz gut zusammengefasst, in dem es heißt: “Als Frauen mit Kopftuch nur Reinigungskräfte waren, war nie die Rede vom Kopftuchverbot. Erst seitdem wir Lehrerinnen, Ärztin, Ingenieurin geworden sind, wurde es relevant. Interessant.” Und das stimmt. Erst seit das Kopftuch den öffentlichen Raum erobert hat und nicht mehr im Hintergrund stattfindet, von dem hauptsächlich weiße Menschen profitiert haben, schienen sich immer mehr Menschen daran zu stören. Da sollten wir alle erst einmal darüber nachdenken, bevor das Kopftuch zum Symbol der Unterdrückung der Frau deklarieren.

Laizismus, wie er in Frankreich auch an den Schulen durchgesetzt ist, finde ich persönlich auch nicht optimal. Denn ähnlich wie eben auch beim Tragen des Trikots des Lieblingsfußballvereins kann eben auch die Identifikation mit einer Religion ein Ausdruck der Persönlichkeit und Zugehörigkeit zu einer Gruppe sein. Aber dann eben für alle und nicht nur für die, die der weißen Mehrheitsgesellschaft gerade in den Kram passen.


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