Alte. Weiße. Männer. Seit ein paar Jahren nerven sie immer mal wieder, sind unnötig laut, arrogant, unqualifiziert und überschätzen sich maßlos. Es gibt sie schon seit mehr als ein paar Jahren, aber erst seit einiger Zeit haben sie endlich eine Bezeichnung erhalten. Was sich sonst nur Frauen, People of Color, Menschen mit Migrationshintergrund und viele weitere Minderheiten gefallen lassen mussten, gilt nun schon länger auch endlich für privilegierte Mehrheiten und hilft ungemein dabei, Missstände, Probleme, Privilegien und Diskriminierung leichter aufzudecken und dingfest zu machen. Nicht jeder alte und weiße Mann ist auch gleichzeitig ein Alter Weißer Mann. Manche sind es immer, andere wenige nie, aber die Mehrheit ist es nur temporär, es überkommt sie dann einfach so.
In den Wissenschaften gibt es eine Bezeichnung, die häufig eine Symbiose mit dem Alten Weißen Mann eingeht: Hegemoniale Männlichkeit. Das Konzept beruht auf bestimmte Typen von Männlichkeit bzw. von Männlichkeiten, die in hierarchischer Beziehung zueinander stehen. An oberster Stelle in dieser Hierarchie steht die eben genannte Hegemoniale Männlichkeit und damit die herrschende Männlichkeit, welche als Basis die Unterordnung von Frauen und anderen Geschlechtsidentitäten hat und durch die Akzeptanz der meisten Männer legitimiert wird. An zweiter Stelle folgt die komplizenhafte Männlichkeit, welche diejenigen bezeichnet, die zwar nicht aktiv unterdrücken, aber von der Unterdrückung profitieren. An dritter Stelle befindet sich die marginalisierte Männlichkeit, Diese bezeichnet Männer, die nur teilweise vom Patriarchat profitieren, da sie zum Beispiel einer Minderheit angehören und zusätzlich von Diskriminierung betroffen sind. Und zu guter Letzt folgt am Ende die untergeordnete Männlichkeit, welche zum Beispiel bezeichnend für homosexuelle Männer ist, da sie im Augenschein der hegemonialen Männlichkeit das Verständnis vom “Mann sein” ins Wanken bringen. Ähnlich wie beim Alten Weißen Mann ist nicht jedes männliche Wesen in eine dieser Gruppen einzuteilen, sondern oszilliert eher zwischen den Gruppen. Man kann eins davon sein, zwei, drei oder auch alle vier auf einmal und muss diese Männlichkeit nicht permanent ausleben, sondern kann dies auch nur zeitweise. Diese Theorie die heutzutage vor allem in den Gender Studies genutzt wird, bietet eine optimale Ergänzung zum Alten Weißen Mann, der sich mit seinen Privilegien in einer gedachten (und manchmal auch plastischen) Komfortzone bequem macht und gerne einmal seine eigenen Empfindlichkeiten rücksichtslos über die wahren Probleme von politischen Minderheiten stellt.*
Nun aber zum aktuellen öffentlichen Diskurs. Der Comedian Dieter Nuhr ist ja nicht gerade für seine besonders feinfühlige Ader bekannt, was die Unterscheidung von Comedy und Diskriminierung betrifft. Nicht das erste Mal wurde er für einen Beitrag hart kritisiert. Jetzt hat er sich vergangene Woche in seiner ARD Sendung mal wieder von der besten Seite gezeigt und zwar mit ein paar “Witzen” über die Journalistin und Autorin Alice Hasters und ihren Bestseller “WAS WEISSE MENSCHEN NICHT ÜBER RASSISMUS HÖREN WOLLEN ABER WISSEN SOLLTEN”. Um das ganze einmal für alle, die es nicht gesehen haben zusammenzufassen: Erst unterstellt er der Autorin auf Grund der Titelwahl selber Rassismus gegen Weiße und weil das anscheinend nicht genug ist, verbreitet er Falschinformationen. Das Buch sei in den USA ein Bestseller gewesen. Disclaimer: Das Buch ist nie in den USA erschienen und Alice Hasters Deutsche.
An dieser Stelle möchte ich es jetzt nochmal ein für allemal sagen: Es gibt keinen Rassismus gegenüber Weißen Menschen. So wie es auch keinen Sexismus gegenüber Männern gibt. Diskriminierung ja, das kann es geben. Man kann mich als weiße Person zum Beispiel ganz böse als Alman beschimpfen (bin wirklich manchmal ein unfassbarer Alman. Die Tatsache, dass es in Italien oft keine Busfahrpläne gibt, hat mich des Todes getriggert). Aber Rassismus ist eine Bezeichnung für tief in der Gesellschaft verwurzelte Strukturen, die People of Color und andere Minderheiten ausschließen, diskriminieren und ihnen ihren Wert absprechen wollen und die damit einhergehend zu Erfahrungen führen, die Weiße niemals erleben werden.
Außerdem hat Dieter Nuhr sich im weiteren Verlauf auch noch selbst entlarvt und seinen eigenen Vorwurf des Rassismus an Frau Hasters selbst in seiner Äußerung aufgezeigt. Denn seine darauf folgende Falschaussage impliziert, dass in seinen Augen eine Schwarze Frau nicht Deutsche, sondern US-Amerikanerin sein muss. Nachsichtige Menschen würden jetzt sagen: “Naja immerhin hat er nicht gesagt, das Buch sei in Afrika ein Bestseller gewesen.” Aber ich habe ehrlich gesagt keine Lust mehr, ständig nachsichtig sein zu müssen und ich denke viele Menschen teilen diese Ansicht mit mir.
Herr Nuhr, wenn Sie nicht als Rassist bezeichnet werden wollen, sie haben es ja selbst vehement von sich gewiesen, dann bewegen Sie Ihren Arsch aus Ihrer göttinverdammten Alten Weißen Komfortzone und informieren Sie sich vorher wenigstens. Einmal kurz googeln kann doch nicht zu viel verlangt sein von Ihnen oder einem aus Ihrer Redaktion.
Denn People of Color sind auch auf Weiße Menschen angewiesen, damit wir endlich in einer besseren Welt Leben können. So wie Frauen auch auf Männer angewiesen sind, wenn es darum geht, Sexismus zu bekämpfen. Wenn nur die marginalisierte Gruppe etwas tut, dann kommen wir leider irgendwann nicht weiter, wenn wir gesamtgesellschaftlich etwas erreichen wollen. Dann müssen alle mitmachen oder zumindest die Mehrheit. Und das heißt eben auch als Weißer Mensch die eigenen Privilegien und Vorurteile zu analysieren, dann ist zumindest schon einmal der erste Schritt getan.
In einem Land mit einer Geschichte wie Deutschland sie hat, dürfen wir uns nicht mit “wenig Rassismus” oder “wenig Rechtsextremismus” zufrieden geben. Das Ziel muss immer “Kein Rassismus”, “kein Rechtsextremismus” sein. Und wer behauptet, dass das nicht möglich sei der*die ist Teil des Problems.
Connell, Raewyn (2005): Masculinities. University of California Press, Berkley.
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