Home is where the Elm is

Und Gott sprach: Fürchtet euch nicht, denn euch ist vor über zweitausend Jahren der Heiland geboren. Und nun kehret Heim und löset die IT Probleme eurer ErzeugerInnen!” (Oder so ähnlich).

Jedes Jahr zu Weihnachten packen tausende junge Menschen ihre sieben Sachen zusammen und machen sich auf den Weg in die Heimat, um sich bei Gans und Rotkohl, Raclette oder Kartoffelsalat mit Würstchen (wann um alles in der Welt ist das eigentlich ein besinnliches Festessen geworden) endlich mit der Familie zu treffen, zu streiten, zu vertragen, um dann, wenn die bösen Drei endlich überstanden sind, wieder in die Wahlheimat zurückzukehren. War nett hier. Echt. Gerne wieder. Aber bitte erst in 365 Tagen.


Letztes Jahr zur Weihnachtszeit erschien auf Netflix die deutsche Mini-Serie “Zeit der Geheimnisse”, in der es genau um dieses Thema geht. Zu Weihnachten nach Hause kommen. Die Familie wiedersehen. Alten Ballast mitschleppen, sich laut anschreien, reden, vertragen. Vier Generationen Frauen (kleiner Hinweis meinerseits: Auch Männer dürfen Serien mit Frauen in den Hauptrollen angucken. Forscher*innen haben herausgefunden, dass das völlig in Ordnung für den Testosteronspiegel ist. Sie dürfen die dann sogar gut finden. Drei Folgen pro Tag sind vollkommen unbedenklich. So viele hat die Serie nämlich. Welch ein Zufall) kommen nach langer Zeit wieder zusammen. Alte Konflikte, neue Probleme und ein kleines Stück deutsche Geschichte. Die Tatsache, wie furchtbar Familie ist und wie furchtbar schön sie sein kann. Und am Ende Die Erkenntnis, dass wir vielleicht alle ein bisschen wie diese Frauen sind. Und damit auch alle irgendwie in Ordnung.


Vor ein oder zwei Jahren habe ich angefangen, die Orte an denen ich lebe auch sprachlich voneinander zu unterscheiden. Heimat und Herkunft, das ist das Dorf in dem ich aufgewachsen bin, in dem ich zwanzig Jahre meines Lebens verbracht habe. Dort wo noch der Großteil meiner Familie lebt. Der Ort, gegen den ich mich nicht wehren kann. Erkerode. Mein Zu Hause habe ich mir selbst ausgesucht. Da bin ich nach dem Abitur hin und habe mich schnell heimisch gefühlt. Habe mich in die Stadt verliebt und die Großstadt nebenan und die Menschen und die Innenstadt und die Parks und Schlösser. Potsdam. Und seit kurzem Berlin. Der Platz an dem ich erstmal bleiben werde. Vielleicht für immer.

Ich bewundere die Menschen, die sagen können, dass sie keine Heimat haben und kein zu Hause. Ich selber werde mich nie gänzlich lösen können von dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin und auch nicht von dem, an den ich mein Herz gehängt habe. Das Motto: Home is where the heart is funktioniert einfach nicht. Und vermutlich werde ich deshalb nie ganz frei sein, immer in Abhängigkeit von meiner Herkunft. Während Alice Merton “I’ve got no roots but my home was never on the ground” singt, hänge ich mit meinen Füßen auf ewig in der Erde fest.

Das ist manchmal besonders schwer, wenn man in einer Zeit lebt, in der das Reisen zum Nonplusultra der Statussymbole aufgestiegen ist. Nach dem Abitur in Australien, in den Semesterferien durch Südamerika, dann Erasmus in Norwegen. Ich bin nie gerne lange von zu Hause weg gewesen. Das heißt nicht, dass ich nicht gerne verreise. Ich bin nur dann auch immer froh, wenn ich wieder zurück kann. Maximal drei Monate, länger würde ich es nicht aushalten. Nicht weil ich Heimweh habe, sondern weil ich nur hier wirklich zur Ruhe komme. Und weil ich hier echt gerne lebe, auch in Deutschland. Ich mag vier Jahreszeiten (sofern es sie noch gibt). Ich mag funktionierende Busfahrpläne und dass man sich zu einer bestimmten Uhrzeit verabreden kann und dann sind alle da. Und ich mag, wenn man sagt was man denkt und nicht um den heißen Brei herum redet. Es gibt auch so einiges, was ich nicht mag. Aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden und für alles andere kann man ja zum Glück auf die Straßen gehen, protestieren, eine Petition starten, sich irgendwo anketten oder auch einen Text im Internet veröffentlichen. 

Ich bewundere die Menschen, die sagen können, dass sie keine Heimat und keine zu Hause haben. Dass ihr Herz an nichts hängt und dass sie überall auf der Welt dieses Gefühl von Geborgenheit erlangen können. Ich bewundere sie, aber irgendwie tun sie mir auch leid. Weil es doch auch schön ist, wenn man nur an einen bestimmten Ort zurückkehren muss, um sich sicher zu fühlen. 


In der Serie “Zeit der Geheimnisse” heißt es am Ende: “Die Frauen in dieser Familie sind wie die Wellen auf dem Meer. Sie stoßen sich ab und ziehen sich an. Vielleicht ist das so, weil wir alle gar nicht so verschieden sind.” Und wahrscheinlich ist es genau das, was wir alle erleben, wenn wir die Feiertage nutzen, um die Familie zu besuchen. Dass wir uns ja trotz aller Unannehmlichkeiten irgendwie brauchen, weil wir ein großes Ganzes sind. Und dann kehren wir nach drei Tagen zurück in unsere Wahlheimat und sind echt erleichtert und froh, dass es jetzt auch schon wieder vorbei ist, aber vielleicht ein ganzkleinwenig schwermütig und denken uns: Gerne wieder. Bis in 365 Tagen.




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