Zwei zum Preis von Einem

 Ich kann jetzt noch kein Kind haben.

 Jedes Mädchen, jede junge Frau kommt im Leben nicht darum herum, sich früher oder später einmal die Frage zu stellen: Was tue ich, wenn ich jetzt schwanger werde? 

Und ich kann jetzt noch kein Kind haben Vielleicht in fünf Jahren. Oder zehn. Oder niemals. Aber jetzt auf gar keinen Fall. 


Vor kurzem wurde die Ärztin Kristina Hänel erneut verurteilt, weil sie auf ihrer Website darüber informiert hat, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Grundlage dafür: der umstrittene Paragraph 219a, der es Ärtz*innen verbietet, mit Abtreibung zu werben. Zu WERBEN. 

Wenn man auf duden.de bei Werbung unter der Kategorie “Synonyme” nachguckt, steht dort unter anderem “Hype”. Wer kennt die Situation nicht, wenn man seelenruhig die Internetseite des Gynäkologen oder der Gynäkologin, auf die Aussage “Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen” stößt und dann urplötzlich von diesem Gefühl überrollt wird: Man, sone Abtreibung, das wäre jetzt doch mal was! 

Viele Akitivist*innen haben im Zuge des Prozesses die Abschaffung des Paragraphen 219A gefordert und ich frage mich, warum Werbung und Information gleichgesetzt wird, obwohl es zwei vollkommen unterschiedliche paar Schuhe sind. Ich stelle mir vor, wie so eine Werbung aussehen könnte und denke  an eine Gruppe von Föten, die mit traurigen Gesichtern im Kreis Ringelreihen tanzen und dazu im Chor “I Will Survive” von Gloria Gaynor oder “Kill Em With Kindness” von Selena Gomez singen und nicht an einen kurzen Satz in Arial auf einer Website, abgeschlossen von einem Punkt. Heute Mengenrabatt. Erhalten Sie zwei Schwangerschaftsabbrüche zum Preis von einem, wenn Sie uns einer Freundin weiter empfehlen!

Die Gesetzeslage zu Schwangerschaftsabbrüchen ist sowieso höchst fragwürdig, wissen doch viele immer noch nicht, dass er in Deutschland gar nicht erlaubt, sondern lediglich unter gewissen Umständen frei von Strafe ist. Ich begehe also ein Verbrechen, werde dafür aber nicht belangt. Kriminell bin ich trotzdem. Die Kriminalisierung und die Geheimniskrämerei führen dazu, dass Abbrüche weiterhin ein Tabuthema bleiben und wir es jetzt schon mit einer sinkenden Zahl von Ärzt*innen zu tun haben, die diese überhaupt durchführen. Es ist ja als Frau schon eine Mammutaufgabe einen passenden Gynäkologen oder eine Gynäkologin zu finden, schließlich lässt man nicht gerne Hinz und Kunz von unten in sich herein gucken, sondern bevorzugt da eine Person, bei der man sich wohlfühlt und ein gutes Gefühl hat. Und wie ist es dann erst, wenn es darum geht, dass man sich einen Fötus aus dem Unterleib entfernen möchte und man vorher erst ein Beratungsgespräch über sich ergehen lassen muss, bis man bei Pro Familie dann “DIE LISTE” zugeschoben bekommt. 

Wenn unsere Bundesdrogenbeauftragte Gesundheitsministerin wäre, würde sie wahrscheinlich sagen: Ein Schwangerschaftsabbruch ist schließlich keine Erkältung und unser aktueller Gesundheitsminister sagt...sinngemäß das gleiche. “Ein Schwangerschaftsabbruch sei keine ärztliche Leistung wie jede andere”-Ahh Danke Herr Spahn, dass Sie mich darauf hinweisen. Wenn das ganze nicht kriminalisiert und einer offensichtlichen Informationseindämmung unterliegen würde, hätte ich es doch glatt auf die kalte Schulter genommen! Schön, dass es Männer wie Sie gibt, die da noch einmal explizit darauf hinweisen. Ansonsten würde ja auch eine echt hohe Gefahr bestehen, dass Frauen bei Entkriminalisierung und zugänglicher Information auf Praxiswebsites auf einmal richtig Lust auf eine Abtreibung bekommen. 


In ihrem Roman “Corpus Delicti” beschreibt die Schriftstellerin Juli Zeh ein zukünftiges Szenario, dass im Zuge der “Corona-Krise” aktueller denn je ist. Der Staat hat Gesundheit zur höchsten Bürgerpflicht gemacht. Alkohol und Tabak fallen unter den “Konsum toxischer Substanzen” und sind verboten. Ausscheidungen werden in der Toilette sofort analysiert. Mit Sportgeräten in der Wohnung werden Bürger*innen überprüft, ob sie sich ausreichend bewegen. Und das alles mündet schließlich in die große philosophische Frage: Wie sehr darf die Gesundheit aller über der persönlichen Freiheit des Individuums stehen? 

Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Konsens im Großteil der Bevölkerung, dass wir unsere eigene Freiheit zum wohler aller einschränken. Dass wir uns zurücknehmen, damit so wenig Menschen wie möglich sich infizieren oder gar sterben müssen und dass wir unser Gesundheitssystem so entlasten, damit Ärzt*innen nicht gezwungen sind, amoralische Entscheidungen über Leben und Tod treffen zu müssen. Zeitungen, Plakate und Co. sind voll von Informationen über das Virus und selbst ein Post auf Instagram enthält automatisch eine Weiterleitung zur Website der WHO, wenn Corona in irgendeiner Weise erwähnt wird. Wir sehen also, dass Juli Zehs Roman gar nicht so sehr Sci-Fi ist, sondern schon einen wahren Kern enthält, wenn es um die hohe Relevanz von Gesundheit in unserer Gesellschaft geht. Zumindest, wenn die gesamte Gesellschaft potentiell davon betroffen sein kann. Geht es aber nur um die halbe, überwiegend weibliche Bevölkerung, dann ist Information nicht nur kaum zu bekommen, sondern wird auch noch problematisiert oder sogar unter Strafe gestellt. Und dann müssen sich Frauen auch noch von einem Mann erklären lassen, weshalb das so ist. Aber bei dem Thema Schwangerschaftsabbrüche gilt für Männer, was für die meisten feministischen Themen gilt: Da du nicht betroffen bist, kannst du auch nicht für uns sprechen und wer nicht sprechen kann, der sollte es auch erstmal lassen und stattdessen zuhören und dann wird man vielleicht feststellen können, Information ist kein Werbung, sondern etwas, auf das alle Frauen ein Recht haben sollten. 


Vielleicht will ich in fünf Jahren Kinder haben. Oder in zehn. Oder niemals. Das weiß ich noch nicht. Aber eins weiß ich auf jeden Fall: Solange ich noch keine will, möchte ich mich umfangreich informieren können, falls ich doch schwanger werde. Ich möchte wissen, ob nicht vielleicht meine Gynäkologin, die ich schon kenne und der ich vertraue diese sogar durchführt. Denn ja ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Erkältung, aber genau das ist jeder Frau selber klar und deshalb brauchen sie keine Regularien, die sie auf eben diese Tatsache hinweisen.


My Body My Rules! 


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