Der einzigwahre Genderwahn

 Die neue Spaß-Kategorie bei Stadt-Land-Fluss, weil wir ja alle trotz das wir schon mehrere Jahre in unseren Zwanzigern rumhängen, ein mehr oder weniger vorzeigbares Abitur abgelegt haben und einige von uns schon einen Studienabschluss, manche sogar zwei hinter sich gebracht haben, trotzdem vorher einmal laut: Aber bitte ohne Fluss! ausrufen, ist Unwort.  A wie alternative Fakten, L wie Lügenpresse, D wie Dönermorde, G wie Genderwahn. 

Genderwahn, dass ist diese verrückte Ideologie, ausgerufen von durchgedrehten  Feminist*innen, LGBTGIAs und am aller schlimmsten: Diese unmöglichen Sprachwissenschaftler*innen. Oder um es anders zu sagen: Die Menschen, die unsere schöne deutsche Sprache verhunzen wollen, auf dass sie nie wieder irgendjemand entziffern, geschweige denn aussprechen kann und wir langsam aber sicher in eine sprachliche Meinungsdiktatur übergehen, angeführt von ein paar linksversifften G wie Gutmenschen. 


Dabei könnte alles so einfach sein. Hier seht her, unsere Sprache hat da ein kleines Problem. Irgendwie wird alles, was nicht männlich ist, ausgeschlossen, wenn wir das generische Maskulin benutzen. Zwar sind wir der Meinung, dass alle mitgemeint sind, allerdings stimmt das erstens nur weil wir auch keine andere Wahl haben und zweitens nicht, wenn es darum geht, was Sprache für Bilder im Kopf auslöst. Und wir stellen uns nun mal bei Polizisten, Handwerkern, Architekten und Anwälten vor allem Männer vor. Aber auch bei Erziehern, Frisören und Lehrern, denken wir eher an Männer. “Neunundneunzig Polizistinnen und ein Polizist sind hundert Polizisten” sagt Gleichstellungsbeauftragte Eva Jordan in der Serie “Frau Jordan stellt gleich”. Die weibliche Form verschwindet also, sobald nur ein einziger Mann anwesend ist.  Also hey, wie wäre es, wenn jede Person, die möchte, es mal versucht?


Wer auch immer zuerst auf die Idee mit dem Gendern gekommen ist, er oder sie hatte bestimmt niemals auch nur daran gedacht, dass damit ein so riesiges Fass aufgemacht wird. Da will man nichts böses und auf einmal hat jede*r eine Meinung dazu, ohne sich auch nur fünf Minuten mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben. Ob wir denn keine anderen Probleme haben? Klar doch mit Sicherheit, aber das ganze wäre ja eigentlich gar kein Problem, wenn man einfach die Leute, die mitmachen wollen, mitmachen lassen würde. Aber nein, erstmal muss sich lautstark dagegen gewehrt werden, weil so ja die gute deutsche Sprache verunglimpft wird (wird sie nicht, Sprachwandel ist ein ganz normaler Prozess), der Lese- und Schreibfluss gestört wird (wird er nicht, da man sich sehr schnell an die neue Schreibweise gewöhnt und damit das Argument nicht haltbar ist), alle gezwungen werden, sich dem Gendern anzupassen (wird niemand, habe noch nie von Notenabzug in der Schule oder Aberkennung eines Doktor*innentitels gelesen, nur weil da die Sternchen gefehlt haben) und die armen Menschen mit Legasthenie kein einziges Wort mehr entziffern können (hört auf diese Menschen vorzuschieben, nur weil ihre eure eigene Ignoranz nicht anerkennen könnt. Legastheniker*innen haben unabhängig von Doppelpunkt, Stern und Unterstrich Schwierigkeiten beim Lesen). Und dann kommt am Ende noch KFZ-Mechatroniker Ingo und erklärt mir als Sprachwissenschaftlerin, dass alles eh nichts bringt. Danke Ingo. Setzen, sechs! Klarer Fall von seine Kompetenzen nicht richtig einschätzen können. Setz dich nochmal hin und informiere dich über den Stand der Wissenschaft und dann können wir gerne weiter diskutieren. Oder eben nicht, aber dann sei bitte einfach still. Bei dieser Debatte haben viel zu viele Menschen mit haufenweise Meinung, aber dafür sehr wenig Ahnung die Oberhand. 


Der einzigwahre Genderwahn, der momentan besteht, sollte nämlich nicht die Menschen bezeichnen, die sich für gendergerechte Sprache einsetzen, sondern umgekehrt, genau die, die sich so vehement dagegen stellen. Mit Begriffen wie “Genderwahn” oder “Genderismus” werden Ängste geschürt und Probleme herausgestellt, die eigentlich gar keine sind. Und nur durch die Gegner*innen bekommt das Thema so viel Aufmerksamkeit. Wenn es nach mir ginge, ich finde gleiche Bezahlung für alle, häusliche Gewalt und Frauenquote sind wesentlich essentiellere Themen im Kampf für eine gerechtere Welt, aber sie verlangen nun mal auch wesentlich mehr Arbeit, Zeit, Kosten und Mühen. Gleichberechtigung ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, deshalb müssen auch wirkliche ALLE Bereiche inkludiert werden. Es bringt auch nichts, wenn wir nur Frauen in Führungspositionen fördern, denn dann fehlen und Arbeitskräfte an anderen Stellen. Wir müssen viel größer denken und das bedeutet eben auch, das wir auch bei unserer Sprache ansetzen müssen, denn Sprache hat eine unfassbare Wirkmacht und wer das abstreitet, der*die soll mal versuchen einen einzigen Tag ganz ohne jegliche Form von Sprache auszukommen und sich dann fragen, ob unsere Zivilisation, wie sie heute besteht, überhaupt so möglich wäre, wenn wir nicht alles was wir wissen, denken, fühlen, tun und lassen durch Worte transportieren könnten. Gendern ist keine Ideologie, sondern einfach nur ein Vorschlag, Frauen und nonbinäre Personen in unserer Gesellschaft die Sichtbarkeit zu geben, die sie verdienen.





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